Die Poesie der Wand | Seminar IRGE WS19/20

„Wenn vom Raum in der Architektur gesprochen wird, denken wir zunächst an ein Gebilde, das von oben und unten und von den Seiten umschlossen ist. Raum ist also für die meisten identisch mit Innenraum; Raum wird identifiziert mit etwas von Flächen Begrenztem. Diese allgemein laienhafte Vorstellung vom architektonischen Raum lässt erkennen, daß zwei Elemente begrifflich auseinandergahalten werden müssen, sofern man das Phänomen Raum erfassen will: Raum und Raumbegrenzung. Daß Raum nicht selbst mit den begrenzenden Elementen, also mit Wand, Fußboden und Decke identisch ist, erscheint einleuchtend, denn Raum wird als dasjenige bezeichnet, was sich zwischen diesen befindet. Eine andere Erklärung vom Raum als die des `zwischen etwas`gibt es zunächst nicht... Der Raum ist wahrnehmbar an seiner Begrenzung; wäre keine Begrenzung vorhanden, könnte auch kein Raum wahrgenommen werden. Das, was wir als Raum in der Architektur bezeichnen, ist also erst dann für den Betrachter existent, wenn die Begrenzung errichtet und wahrgenommen werden kann.“ (Jürgen Joedicke)
 
Die Idee des Raumes manifestiert sich in der architektonischen Zeichnung durch Linien, deren Wesen in der Raumbildung die Grenzziehung ist. Die Wand als Begrenzung entlehnt sich phänomenologisch der Linie. Wände sind im Gegensatz zur Linie dreidimensional, zweiseitig raumwirksam, tragend im konstruktiven Sinn aber auch im Sinne der „Bekleidung“ und bilden nach Aussen das Gesicht des Gebäudes zur Stadt. Im Verlauf der Geschichte hat die Architektur ein reiches Vokabular für Wände hervorgebracht,das im Seminar thematisiert und aufgearbeitet wird. Historische und zeitgenössische Bauten werden auf ihre „Wände“ geprüft, analysiert und miteinander verglichen. Die Erkenntnisse aus der Analyse werden in Denkprozessen weiter transformiert und in kleinen „raumgrenzenden“ Übungen zur Synthese gebracht.
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