über den Geist des Raumes
Seminar IRGE WS 21/22
„Vergeblich, großherziger Kublai, werde ich versuchen, dir die Stadt Zaira mit ihren hohen Bastionen zu beschreiben. Ich könnte dir sagen, wie vieleStufen die treppenförmigen Straßen haben, welche Wölbung die Bögen der Arkaden, mit was für Zinkplatten die Dächer gedeckt sind; aber ich weiß schon, daß es so wäre, als würde ich dir nichts sagen. Nicht daraus besteht die Stadt, sondern aus Beziehungen zwischen den Maßen ihres Raumes und den Ereignissen ihrer Vergangenheit: die Höhe einer Straßenlaterne und der Abstand vom Boden bis zu den baumelnden Füßen eines erhängten Usurpa- tors; der von der Laterne zur gegenüberliegenden Brüstung gespannte Draht und die Girlanden, die den Weg des Hochzeitszuges der Königin schmücken; die Höhe jener Brüstung und der Sprung des Ehebrechers, der sich im Morgengrauen über sie schwingt; die Neigung ei- ner Dachtraufe und die darauf balancierende Katze, die ins selbe Fenster schlüpft...Mit dieser Welle, die aus den Erinnerungen zurückfließt, saugt die Stadt sich voll wie ein Schwamm und breitet sich aus. Eine Beschreibung von Zaira, wie es heute ist, müßte die ganze Vergangenheit von Zaira ent- halten. Aber die Stadt erzählt ihre Vergangenheit nicht, sie enthält sie wie die Linien einer Hand, eingeschrieben in die Ränder der Straßen, die Gitter der Fenster, die Handläufe der Treppengeländer, die Antennen der Blitzab- leiter, die Masten der Fahnen, jedes Segment seinerseits schraffiert von Kratzern, Sägespuren, Kerben und Schlägen.“ Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte
Räume bilden Städte. Wenn wir Raum als Stadtfragment verstehen, vermittelt die „Vergangenheit“ Essentielles über Stimmung, Sentiment und Atmosphäre. Der gängige architektonische Diskurs über Konzept, Programm und Konstruktion behandelt nicht den Raum selbst.
Mit Schwerpunkt auf Sensualität und räumlichen Erfahrungen in experi- menteller Praxis und Reflexion setzen wir uns mit Licht, Material, Form und Farbe mit dem Fokus auf den narrativen Raum, Raumsprache, Erinnerung, Wahrnehmung von Räumen, Bewegung und Raum auseinander.
Die im letzten Semester angefangene inspirierende Zusammenarbeit mit dem Berliner Szenographen Sebastian Soukup werden wir in einem 3-tätgigen Workshop fortsetzen. Wir werden Filme schauen, Lesungen geben und Aufgaben bearbeiten um damit für sich Raum selbst nochmal neu physisch erleben zu können.