Texlen
Masterarbeit Wintersemester 2022 | Johannes Pfaff
Märchenhaft anmutend erhebt sich das sagenumwobene Riesengebirge mit seinen hohen Gipfeln und weiten Tälern zwischen Schlesien und Böhmen. Einst Hochburg der europäischen Weberei und Technologiestandort mit herausragendem Ruf ist es heute in einen Dornröschenschlaf gefallen. Der Entwurf „Texlen“ soll eine alte Leinenspinnerei wiedernutzen, um eine Weberei und ein Ateliergebäude ergänzen und der Stadt Schatzlar damit ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein neben dem Tourismus und der elektronischen Keramik bieten. Architektur, Stadtplanung und Landschaftsgestaltung gehen bei diesem Entwurf Hand in Hand. Die landschaftlichen Auswirkungen der Produktion werden gestalterisch genutzt, um die Erzählung des Ortes zu prägen. Während die Flachsfelder das Landschaftsbild prägen, kann die neue Infrastruktur rund um die Fabrik der örtlichen Bevölkerung zu Gute kommen. Die neu geschaff ene Fabrik fügt sich in das Stadtbild ein und dient als Kondensationskern für neue Wirtschaftszweige. Sie soll als Beispiel dienen, dass die von der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Entfl echtung besonders dem ländlichen Raum und der ökologischen Produktion in verloren gedachten Branchen zugutekommen kann. Texlen stellt für die Wiederansiedelung der Textilbranche nur den ersten Baustein dar. Es soll mit hochqualitativen Stoff en und dem Spinnen eines neuen Narrativs des Produktionsstandortes der Wegbereiter für weiteres Gewerbe sein. Der Entwurf versucht, das Verhältnis von benötigter neuer Produktionsfl äche und möglichen Umnutzungen auszutarieren. Städte wie Schatzlar im Riesengebirge eignen sich hierfür besonders gut, weil sie durch lange Perioden des Schrumpfens und dadurch erhaltener innerstädtischer Brachen perfekt als Labor dienen können, eine neue und gelungene Nähe von Produktion und Wohnen zu erzeugen. Neben der Spinnweberei werden auch deren Auswirkungen auf den Ort mitgedacht und gestaltet. Städtebaulich wird im nördlichen Dorfteil ein neuer Platz geschaff en, der angrenzende Bahnhof wird wiederbelebt und für Güter- wie auch Personenverkehr genutzt. Nach diesem Prinzip sollen rund um die Fabrik brachgefallene Orte wiedergenutzt werden.
Architektonisch fügt der Entwurf sich in die industrielle Sprache der Region ein, hebt mit einzelnen Elementen wie dem Wasserturm oder des Oberlichts über dem Showroom dennoch seinen Anspruch als wichtiger Stadtbaustein hervor. Das Gebäude geht in seinem Grundriss so auf den Kontext ein, dass Gegebenheiten wie der Geländeverlauf in das Gebäude eingebaut werden und die internen Abläufe der Weberei unterstützen. Die Konsequenz der kurzen Wege und suffi zienten Nutzung von Ressourcen zieht sich vom Regionalen bis in den Detailmaßstab. So sollen bestehende und neue Gebäudeteile mit einer Flachsfaserdämmung von innen isoliert werden, die in verschiedenen Bauabschnitten angebracht wird. Hierfür kann die Spinnerei diese nach und nach selbst produzieren, das so genannte Hechelweg wird dann zur Dämmung weiterverarbeitet. Verkleidet werden sollen die meisten Wände mit strapazierfähigem Leinen, welches ebenfalls kostengünstig selbst produziert werden und vielfältige Atmosphären erzeugen kann. Die Dachwerke werden entsprechend der Tradition aus Holz gefertigt, der Ziegelstein für die Wände kann zum Teil aus der nahen und stillgelegten Kohlemine bezogen werden. Alle wichtigen Bestandsgebäude des Areals erhalten eine tragende Funktion in der neuen Fabrik. Der Entwurf soll beispielhaft für eine neue Form der Ökonomie sein, bei der der Einklang von Gesellschaft, Ökologie und regionaler Vielfalt im Vordergrund steht.