Die Schwarzwaldhochstraße - Von Zerfall und Leerstand
Masterarbeit WS 2021/22 | Anna Lenz, Lisa Stadtmüller
Die Schwarzwaldhochstraße. Einst prunkvollste Touristenstraße Deutschlands. Heute älteste Ferienstraße Deutschlands. Mit ihren 60 Kilometern und zwei Millionen Besuchern pro Jahr zählte sie neben Italien lange als beliebtestes Reiseziel der Deutschen. Wie an einer Perlenkette aufgereiht ziehen sich entlang der linearen Route prachtvolle Hotels, welche ursprünglich als Schutzhütten konzipiert wurden und sich später als Residenzen für die Schönen und Reichen etablierten. Heute sind sie von Leerstand und Zerfall geprägt. Es zieht kaum noch Menschen für einen mehrtägigen Urlaub an die Schwarzwaldhochstraße. Nach dem zweiten Weltkrieg beginnt das schleichende Hotelsterben. Was heute noch übrig ist, sind lediglich traurige Überreste der damals so glanzvollen Zeit.
Der Schwarzwaldtourismus hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Zu den heutigen Besuchern zählen vorrangig Tagesausflügler. Überfüllte Ballungszentren sind die Folge. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Schwarzwaldhochstraße nachhaltig wieder zu beleben, ihr eine Identität zurück zu geben. Es gilt ein Strategiekonzept für das notleidende Kulturerbe zu verfassen.
Aufbauend auf den von uns formulierten Strategien entsteht der Schwarzwaldhochstraße Baukasten. Die Basis dafür bilden das Mobilitätskonzept, der Masterplan, die Baufibel und die Methoden im Umgang mit dem Bestand. Entschleunigung durch Dezentralisierung und die damit einhergehende Achtsamkeit gegenüber der Natur, sowie die Identitätsstiftung bilden die Leitelemente. Die Schwarzwaldhochstraße wird zum ersten Panoramafahrradweg und von einem parallel verlaufenden Wanderweg begleitet. Entlang der Straße wird die Typologie der Themenhäuser angewendet. Mit dieser Umnutzung liegt der Schwerpunkt wieder auf der Individualität des Hauses. Die Baufibel bildet einen Katalog der Merkmale der Bestandsbauten des Organismus Schwarzwaldhochstraße, dessen wir uns bei der Umsetzung bedienen. Zusätzlich werden Methoden im Umgang mit dem Bestand definiert. Diese dienen als Grundlage für die Interventionen vor Ort.
Die Themenhäuser stehen im Dialog zueinander und verbinden die gesamte Straße. Die Erdgeschosszonen werden, als vermittelndes Element zu öffentlichen Bereichen. In den oberen Geschossen wird der Schutzhüttencharakter aufgenommen, verschiedenste Schlafmöglichkeiten variieren individuell auf die jeweilige Nutzung angepasst.
Diese dialektische Betrachtungsweise und Gegenüberstellung von Altem und Neuen spiegeln auch die im Entwurf betrachteten Bauten wieder. Die beiden bearbeiteten Themenhäuser bilden eine Gegenüberstellung des Neuen, nüchternen, neutralen Nutzbaus und des Historischen, öffentlichen, persönlichen Repräsentationsbaus. Das Haus der Forschung bedient sich der Methode des Neubaus und wird am Standort der alten Silos an einer Schnittstelle von Natur, Straße und Nationalpark angewendet. Es entsteht eine Art Wissensspeicher, welcher gleichzeitig als Schutzraum für die Ranger aber auch Besucher*innen vor Ort dient.
Das Projekthaus Sand als Bestandsbau bedient sich der Methode des Auffüllens und des fehlenden Ergänzens. Es spiegelt in seinem Inneren die unterschiedliche Szenen und Epochen wieder. Durch simple Abbruchmaßnahmen wird das Gebäude auf seine Grundstruktur reduziert und mit einfachen Nutzungen gefüllt. Statt Zimmern auf Zeit gibt es jetzt Projekte und Workshops auf Zeit. Zusätzlich dient es weiterhin als Unterkunft und der Charakter der Schutzhütte bleibt erhalten.
Mit den Umnutzungen und Ergänzungen entlang der Schwarzwaldhochstraße wird auf den Naturschutz aufmerksam gemacht und die Potentiale der Standorte herausgearbeitet. Die Schwarzwaldhochstraße ist wieder als ein zusammenhängender, im Dialog stehender Organismus zu betrachten. Durch die gezielte Bestandsaufnahme des Vorgefundenen und das sensible Umsetzen der analysierten Merkmale in individuellen Themenhäusern wird die Identität der Schwarzwaldhochstraße gestärkt und dennoch ihr wertvolles Erbe wertgeschätzt und bewahrt. Vorhandenes, Altes, Bestehendes und schätzenswertes kann neben dem Neuen auf den Nutzer angepassten existieren, ohne es dabei zu verdrängen. Die Architektur als Vermittler im Dialog von Existenz und Koexistenz.